Denken? Überbewertet!

Ich wusste es doch schon immer: Denken wird überbewertet. Sonntag war ich zum ersten Mal in der Live-Sendung dabei. Vormittags der Live-Kommentar zur Palmsonntagsmesse und Mittags ganz spontan bei den Nachrichten. Zeit zum Nachdenken? Gab es nicht.

Aber von vorne: Palmsonntagsmesse und der Live-Kommentar. Für die Live-Sendungen zu den Papstmessen muss man in geheime Gefilde. Mitten in den Vatikan, durch den apostolischen Palast, in den Petersdom, neben die Papstloggia. Mir ging es wie in der Sixtina. Wie ein Schwamm versuchte ich alles aufzusaugen, mir den Weg zu merken und bloß alles sehen. Wie man sich es vorstellt, ist das Innere des apostolischen Palastes imposant. Am liebsten würden man Stunden dort verbringen, um alle Gemälde sich in Ruhe anzuschauen. Kurzer Blick in die Kapelle Paolina und schon geht es weiter, den Blick der Schweizer Gardisten im Rücken. An der Papstloggia vorbei, auf dem Papst Franziskus sich vor einigen Wochen das erste Mal gezeigt hat, ist der kleine Raum, indem die Radio Vatikan Redakteure das Geschehen kommentieren. Ein Raum voller Boxen, im Halbkreis um den Techniker aufgereiht. Im Rücken liegt der Petersplatz mit den Scharen von Pilgern, die mit Franziskus die Messe zum Palmsonntag feiern wollen.

Und wieder hat uns der argentinische Papst mit seinem Tempo überrascht. Zwei Minuten vor regulären Beginn steht er am Obelisken und eröffnet die Messe. Schnell reagiert und schon sind wir auf Sendung. Und ohne mich mental darauf einstellen zu können, bekomme ich von meinem Chef das Zeichen: „Mein Name ist Pia Dyckmans und ich begrüße ganz besonders unsere Zuhörer, die über unsere Partnersender mit uns die Messe feiern.“ Puh, das kam überraschend. Erst danach habe ich realisiert: Oh Gott, das war jetzt live. Adrenalin strömt durch den Körper und man ist gespannt wie ein Flitzebogen. Und schon bekomme ich meinen zweiten Einsatz, die Lesungen. Mit halben Ohr muss ich drauf achten, was der Lektor auf dem Petersplatz sagt und was ich vorlese. Passt das Tempo? Spätestens bei der Passion habe ich ein Gefühl/Ohr und versuche mein Lesetempo daran anzupassen. Zweieinhalb Stunden später ist alles vorbei. Noch ein Blick auf den Petersplatz, den sonst nur der Papst und Kurienmenschen genießen dürfen, dann geht es schon zurück in die Redaktion. Dort heißt es: weiterarbeiten – Nachrichten schreiben und aufsprechen. Tageswerk ist getan, dachte ich.

Live on air - 16 Uhr!Zwei Minuten vor vier steht meine Kollegin vor mir: „Pia, wir müssen die Sendung live machen.“ Also wieder ab ins Studio, Kopfhörer auf, Mikro auf und los geht´s. Wieder keine Zeit nachzudenken, Adrenalin fließt wieder durch den Körper und dann einfach nur lesen. Aufgeregt sein? Keine Zeit. Erst nach der Sendung habe ich Zeit nachzudenken: Spaß hat es gemacht 🙂

Drei Tage später, am Mittwoch, darf ich wieder live die Nachrichten lesen. Der Unterschied diesmal: ich wusste es bereits zwei Stunden vorher. Das Problem: das Gehirn denkt nach. Während ich im Studio sitze und meine Kollegin mich ankündigt, schaue ich auf die Nachrichten, denke über die Live-Situation nach und irgendwie hat sich ein Frosch in meinen Hals geschlichen. Denkbar falscher Zeitpunkt. Aber es ist live, ich muss da jetzt durch, also lese ich. Und währenddessen arbeitet mein Hirn auf Hochtouren. Hätte ich mich jemand kurz danach gefragt, was ich gelesen habe, hätte ich zugeben müssen: Keine Ahnung.

Ich wusste es doch immer, Nachdenken bereitet einem nur Kopfzerbrechen.

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Die ersten Tage sind geschafft

Die Touristentage sind vorbei, der Alltag hat begonnen. Seit Freitag gehöre ich zur Stimme des Papstes. Stopp, wir haben ja keinen Papst momentan. Naja egal, ihr wisst schon was ich meine. Die Arbeit bei Radio Vatikan hat begonnen. Jeden Tag an der Piazza Pia (passend, oder ?!  🙂 ) vom italienischen Boden hinein in den extraterritorialen Bereich des Vatikans. Vorbei am Pförtner, der inzwischen auch nicht mehr fragen muss, wer ich bin, ab in den dritten Stock. Drei kleine Redaktionsbüros gehören der deutschen Redaktion. Neben uns noch andere Redaktionen, wie die Brasilianer. Radio Vatikan ist eben international. Das sieht und das hört man aber auch auf jedem Flur.

Kleiner Zahlenexkurs gefällig?  Darf ich vorstellen, Radio Vatikan in Zahlen:          Betriebskosten 2006: 28 Millionen Euro                                                                     Personal: 370 Insgesamt                                                                                      Regelmäßig gesendete Sprachen: 40                                                                       Sendezeit pro Jahr (in h): 23.500 h

Zwei mal am Tag geht die deutsche Redaktion auf Sendung und dann heißt es: Laudetur Jesus Christus, mein Name ist … und sie hören Radio Vatikan. Um 16 Uhr wird der Zuhörer über alles informiert, was im Vatikan und in der Weltkirche von Bedeutung ist – in exakt 14:40 Minuten. Abends wird es dann spezieller. Neben einem kleinen Nachrichtenblock läuft ab 20:20 Uhr das Abendmagazin.Für mich bedeutet das: Agenturmeldungen auf den Tisch und es wird in die Tasten gehauen. Von Tag zu Tag lasse ich die Wissenschaftssprache weiter hinter mir und bin wieder im Journalismus angekommen. Endlich! Wie habe ich dich vermisst.

Für die Redaktion heißt es seit Freitag – durchschnaufen, mit festem Blick auf das, was kommt. Sondersendungen, die noch vor dem Konklave laufen sollen, müssen fertig gebaut werden und Anfragen von Journalisten werden auch noch behandelt. Warum darf Kardinal Kasper doch am Konklave teilnehmen, der ist doch schon 80? Wer wird das Konklave leiten? Und wie heißt überhaupt das Käppchen, was die Bischöfe und Kardinäle auf dem Kopf tragen? Zu den mehr als 600 permanent beim Heiligen Stuhl akkreditierten Medienvertretern sind schon vor dem Konklave-Beginn noch über 4400 temporäre Akkreditierungen hinzu gekommen. Und deren Fragen müssen beantwortet werden. Und glaubt mir, auch als Theologiestudentin sind viele Fragen offen. Der Vatikan ist halt einfach ein Fall für sich. Egal wie viele Bücher man gelesen hat oder wie viele Medienberichte oder Dokumentationen man schon gesehen hat,  in der Realität sieht es dann doch anders aus. Das Zitat was mir nach den ersten Tagen am meisten hängen geblieben ist: „Wir kennen den Papst einfach anders, als die meisten.“